Herzkasper

Wenn das Herz ins Stolpern gerät, nennt man das im Volksmund, einen „Herzkasper“ haben. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Wie der Kasperli beim Puppentheater zeigt der Körper dem Betroffenen den Joker und warnt: „Es gilt ernst! Höchste Zeit deine Lebensart zu überdenken!“

Es gibt viele Gründe weshalb das Herz ins Stolpern gerät, ungesunder Lebensstil, wenig Schlaf, die Trauer um einen geliebten Menschen, oder man hat sich beruflich über längere Zeit übernommen, oder sich über den Chef geärgert.

Mit etwas Glück wurden Infarktpatienten rechtzeitig aufgefunden und mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht. Mit der breiten Aufklärung heutzutage und den allgegenwärtigen, griffbereiten Defibrillatoren, überleben die meisten Betroffenen den ersten Infarkt. Eine Klinik im Appenzellerland hat sich auf Herzkrankheiten und Burn-out spezialisiert. Fernab der Hektik der Grossstädte, auf dem Land können sich die Patienten erholen. Individuell und auf jeden zugeschnitten gibt es einen Tagesplan. Das Angebot reicht von Yoga, über Aqua-fit oder Walking, bis zum Schneeschuhlaufen. Begleitet und unterstützt von einem Betreuungsteam, werden zudem aufklärende Vorträge zu den Themen Ernährung, Gesundheitskontrolle und Fitness geboten. Es wird erklärt wie es zu einem Herzinfarkt oder Burn-out kommen kann. Damit soll bei den Patienten das Bewusstsein geweckt werden, ihr Leben gesünder zu gestalten. Beide, die Kopf- wie auch die Herz-Patienten kämpfen sich wiederum hoch, um bald in ihr angestammtes Leben zurückkehren zu können.

Die Kopf-Patienten schauten dabei eher aus wie Uhus, mit ihren, von unzähligen, schlaflosen Nächten dunkel umrandeten Augen, blickten sie überreizt um sich. Zehn Minuten Zeitung lesen, Maximum, dann waren sie völlig entkräftet. Ein Schatten des Menschen, dessen sie mal waren, sassen sie da, wie ausgespuckt und zuckten bei jedem lauten Wort zusammen. Sie wären für Änderungen zu haben, doch solange es in ihren Ohren läutete, nach zwei Schritten ihr Herz rast und ihnen der kalte Schweiss ausbricht, beim Gedanken nach Hause zu gehen, ist nichts zu machen. Am liebsten würden sie sich hinlegen und nie mehr aufstehen. Erst mussten sie sich jetzt erholen.

Das war jedoch nicht einfach, denn sie waren von Herz-Patienten umgeben, die das pure Gegenteil von ihnen verströmten. So sehr anders, dass sich die ‚Kopfeten‘ manchmal fragten: Was die wohl für ein Zeug schluckten? Sicher nicht diese Stimmungsaufheller, wie man sie ihnen austeilte, die einem Übelkeit verursachen, und einem nicht schlafen liessen, wenn man an einem Glas Wein auch nur gerochen hatte.

Die Herz-Patienten alberten schon am ersten Tag des Eingewöhnens herum. Sie machten Party und verliebten sich sogar neu. Ihr offenes Lachen war ansteckend. Sie liefen herum in der Meinung, den Klinikaufenthalt möglichst schnell hinter sich zu bringen. Viele von ihnen waren Raucher, die meisten waren gutgelaunte, kontaktfreudige Menschen. Zu Beginn fassten sie alle grosse Vorsätze wie, das Rauchen aufgeben, den Alkohol reduzieren, fettige Speisen meiden, das Dessert weglassen. Und keine zwei Tage später traf man sie in der Raucherecke vor der Tür, oder an der Bar mit einem Glas Wein in der Hand oder vor einer Portion Eiscreme.

Sie gingen mit ihrer Krankheit um, als würde es sich nur um einen kleinen Irrtum handeln. Eine Laune der Natur, was sich sicher bald wieder von selbst einrenken würde. Das war ein sehr gefährlichster Irrglauben. Im Grund fiel es ihnen sehr schwer, sich die eigenen Schwächen einzugestehen. Die wenigsten hatten begriffen, dass sie ihr Leben nachhaltig ändern mussten, weil sonst - wenn ihr Herz das nächste mal ins Stolpern gerät, es vielleicht das letzte Mal sein könnte.